Ein Baum, der zu schnell wächst, hat schlechtes Holz.

Gleich werde ich aufgerufen, meine Urkunde entgegenzunehmen. Es sind ein paar Augenblicke, in denen ich zurückschaue auf meinen Jiu Jitsu-Do. Ich war 16, als ich diese Kunst kennen lernte. Es war kurz vor den Herbstferien als ein Schulkamerad uns auf eine Jiu Jitsu-Gruppe ganz in der Nähe aufmerksam machte. Neugierig geworden schaute ich mir das Training an. Gleich war ich Feuer und Flamme, aber vor dem nächsten Training lagen erst einmal die Ferien. Ungeduldig fieberte ich meinem ersten Training entgegen. Dann, am 4. November 1986 durfte ich mitmachen. Im Jogginganzug – einen Budo-Gi hatte ich noch nicht - grüßte ich an. Als Kind hatte ich zwei Jahre Judo gemacht – hatte also eine ungefähre Idee, was da auf mich zu kam. Aber es wurde viel besser…

Heute, am 7. Mai 2023, stehe ich neben einigen anderen Jiu Jitsuka und warte. Ich habe soeben die Prüfung zum 5. Dan Jiu Jitsu erfolgreich abgelegt – nach etwas über 36 Jahren Training. Ich frage mich, warum ich so lange gebraucht habe, die insgesamt 10 Prüfungen zu bestreiten. Das geht auch in der Hälfte der Zeit. Sicher, aber war das mein Anliegen, so schnell wie möglich einen Gürtel nach dem anderen zu bekommen? Nein – das war es nie. Ich wollte so viel wie möglich lernen, wollte ein guter Schüler und hinterher ein guter Trainer werden. Wollte mich entwickeln - meinen Stil entwickeln.

In diesen 36 Jahren war ich auf insgesamt 25 Kyu- und Danprüfungen Partner, habe unzählige Schüler auf ihren Weg gebracht und sie teilweise bis zum Meister begleitet. Wieviel Prüfungen ich in dieser Zeit abgenommen habe? Ich weiß es nicht mehr…

Um das Training herum gab es für mich immer mehr Möglichkeiten, mich dem Jiu Jitsu zu widmen. Sei es in meinem Verein oder in unserem Landesverband. Beide leite ich heute als 1. Vorsitzender.

Ja – all das hat meine eigene „Gürtelkarriere“ verlangsamt, aber ein Fehler war dies für mich nicht. Ich habe in diesen Jahren zahllose Menschen kennen gelernt, die sich auch dem Jiu Jitsu verschrieben haben. Allen voran meine Lebensgefährtin Andrea, die mich immer wieder unterstützt hat, mir bei meinem Training half, manchmal sehr kritisch an meinem Mattenrand saß und mir mehr als einmal Mut machen musste, durchzuhalten.

Auch über den gemeinsamen Weg mit meinem Trainingspartner Adam, freue ich mich sehr. Insgesamt sechs Prüfungen, sowohl Adams als auch meine, haben wir gemeinsam bestritten – da gab es mehr als einen blauen Fleck, viele lehrreiche und auch lustige Momente und wir wurden als Team bekannt.

Ich durfte bei so vielen guten Meistern trainieren oder ihre Lehrgänge besuchen, habe über den Tellerrand geschaut und mal bei dieser oder jener anderen Kampfkunst mitmachen können.

All das hat meinen Stil geprägt. Ich bin jedem einzelnen, der oder die mich positiv beeinflusst hat, überaus dankbar. Ich habe mal einen Spruch gehört, der nur zu gut auf die Kampfkünste und ihre Akteure passt: „Ein Baum, der zu schnell wächst, hat schlechtes Holz.“

Danke an alle, die mich auf meinem langen Weg begleitet haben – sei es ein kürzeres oder ein längeres Stück des Weges.