Waffe: Stoffbeutel

 

Jeder Budoka hört früher oder später die Geschichten der Bauern und Fischer im alten Okinawa, der Heimat vieler japanischer Kampfkünste. Ihnen war es verboten, Waffen zu tragen, deshalb nahmen sie ihre Altagsgegenstände und lernten, sich mit diesen zu verteidigen. Zum Teil wurden sie im Laufe der Zeit verändert und es entstanden richtige (unauffällige) Waffen. Die Kunst sich ihrer zu bedienen bekam den Namen Kobudo. Bei solchen Erzählungen fällt meist niemandem auf, dass wir uns heute im modernen Europa in der gleichen Situation befinden. Auch wir dürfen uns nicht bewaffnen wenn wir uns bedroht fühlen. Damals wie heute sind wir auf bewaffnete Sicherheitskräfte angewiesen, die uns schützen sollen. Und auch damals wie heute gibt es Menschen, denen das nicht reicht.

Dreschflegel, Mühlsteinkurbel und Fischereigerät besitzt aber kaum noch jemand. Jedoch haben wir alle zeitgemäße Dinge, die sich auch heute zum Selbstschutz eignen.

So trainierte die Gruppe des Nippon am 10. August auf dem Schulhof neben ihrem eigentlichen Dojo den Einsatz eines Stoffbeutels zur Selbstverteidigung. Trainer Benedikt hatte sich dieses Themas angenommen und zeigte Möglichkeiten, sowohl eine leere als auch gefüllte Baumwolltasche zur Abwehr verschiedenster Angriffe einzusetzen.

Leer eignet sie sich hervorragend um Schläge oder eine Waffe einzufangen oder aber mit ihr Würgergriffe auszuführen. Mit Inhalt ist sie ein überwältigender Schlagverstärker, der auch die Reichweite verlängert. Ein kleines Schmankerl hatte sich Benedikt vom Bartitsu ausgeliehen, der historischen Selbstverteidigung der britischen Gentlemen. Im Bartitsu zieht der Kämpfer sein Einstecktuch und wirft es einem Aggressor zur Verwirrung ins Gesicht, dann greift der Gentleman an. Ein hervorragendes Aufwärmspiel, beschloss Benedikt. Er warf seinem Partner Adam ohne Ankündigung die leere Tasche ins Gesicht. Tatsächlich verharrte dieser einen kleinen Moment, den Benedikt für den Beginn einer Serie von Schlag- und Tritttechniken nutzte. Dann drehte er sich schnell um und flüchtete ein paar Meter. „Nun seid Ihr dran,“ gab er den Startschuss für die erste Technik des Abends.

Im Anschluss wurden Stockangriffe mit der Tasche pariert und verschiedene Formen des Greifens vereitelt. In der aufkommenden Abendkühle kämpften die Nippons mit und gegen die Tasche, bis alle schweißgebadet und erschöpft aber auch um einige Erfahrungen reicher waren.

„Ab heute gehe ich nie mehr ohne Tasche aus dem Haus,“ resümierte Sportskamerad André, „so ein Ding ist ja der Hammer!“

Und wie bei allen Techniken heißt es für die Zukunft: üben, üben, üben - bis sie in Fleisch und Blut übergegangen sind…


(Text: Benedikt Meinhardt)